Verfahrensschritte der Schule und der Bezirksregierung Köln

Verfahrensschritte der Schule und der Bezirksregierung Köln bzw. der Schulaufsichtsbehörde bei der Klärung des Amokverdachts vom April 2009 nach Frederick Molls öffentlichem Selbstmord im August 2013

Nach Fredericks Tod geben seine Eltern einem Journalisten vom Kölner Stadt-Anzeiger ein Interview für seinen Artikel vom 14./15. September 2013. Im selben Artikel äußert sich auch der Sprecher der Bezirksregierung zu Frederick und dem Vorfall in der Schule vom 2./3. April 2009. Dem Journalisten wird mitgeteilt: „Jan Frederick Moll hat für den Tag des Abi-Gags einen Amoklauf angekündigt und gedroht¸ alle abzuknallen‘.“

Im Februar 2014 nimmt Fredericks Mutter Joanna Moll Kontakt zum [xxx]-[xxx]-Gymnasium auf. In einem ersten Telefonat kann sie kurz mit dem derzeitigen Schulleiter Herrn Meinolf A. sprechen. Im Verlauf der folgenden Wochen versucht sie mehrfach, Herrn A. telefonisch zu erreichen, da sie ihn bitten möchte, ihr einen Kontakt zu dem ehemaligen Klassenlehrer von Frederick, Herrn Patrick H., herzustellen. Leider wird sie nicht mehr zu Herrn A. durchgestellt. Aus diesem Grund sucht sie am 30. April 2014 selbst das persönliche Gespräch mit dem ehemaligen Klassenlehrer, was dieser jedoch ablehnt. Durch den Schulleiter Herrn A. wird Fredericks Mutter der Schule verwiesen, ein Kontakt mit Fredericks damaligen Lehrern wird den Eltern schriftlich untersagt.

Am 2. Mai 2014 erhalten Fredericks Eltern auf Antrag bei der Staatsanwaltschaft Einsicht in die Strafanzeige, die die Schule am 3. April gegen Frederick erstattet hatte. Bis dahin lag den Eltern lediglich die „Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen F. Moll“ vom 12. Februar 2010 vor. Eingestellt worden war das Verfahren „nach § 170 Abs. 2“, weil „der Beschuldigte zur Tatzeit noch nicht 14 Jahre alt war“.

Am 6. Juni 2014 erreicht Fredericks Eltern vom Schulleiter Herrn A. bezüglich ihres Kontaktaufnahmeversuchs vom 30. April 2014 eine schriftliche Einladung zu einem Gespräch mit dem Leitenden Regierungsschuldirektor Herrn P. als Vertreter der Bezirksregierung, Frau G.-B. vom Schulpsychologischen Dienst und Herrn Meinolf A., dem Schulleiter des Gymnasiums. Herr A. schreibt: „Ihren Äußerungen, sowohl an diesem Tag [30.04.2014] als auch in Telefonaten, konnten wir entnehmen, dass Sie noch eine Reihe ungeklärter Fragen bezüglich unseres Handelns als Schule im Umgang mit Ihrem Sohn Frederick haben. […] Ziel des Gespräches soll sein, Ihnen persönlich zu erklären, wie wir uns als Schule an diesem Tag vor den Osterferien 2009 [2./3. April 2009] verhalten und wie wir diese schwierige Situation aufgearbeitet haben.“

Dieses Gesprächsangebot lehnen die Eltern ab, da die drei Personen, die außer Fredericks Eltern an dem Gespräch hätten teilnehmen sollen, zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Verbindung zu Frederick oder der damaligen Vorgehensweise der Schule bei der Klärung des Amokverdachts standen. Ein Gespräch mit den damals involvierten Lehrern hätten Fredericks Eltern im Jahr 2014 gerne wahrgenommen. Eine weitere Kontaktaufnahme zu diesen oder zu der Schule vermeiden sie nach der schriftlichen Unterlassungsaufforderung vom 6. Juni 2014 jedoch.

Am 29. August 2014 beantragen Fredericks Eltern Einsicht in die Schülerakte. Diese erhalten sie auf mehrfache Nachfrage sowie auf ihren Entschluss hin, sie gerichtlich einzufordern, nach zweimonatiger Wartezeit am 24. Oktober 2014 von der Bezirksregierung Köln. Die lange Wartezeit begründet der Schulleiter Herr A. dem Anwalt der Eltern gegenüber mit der nötigen „Mithilfe“, die er für die Herausgabe einer bereits vorliegenden Schülerakte von der Bezirksregierung benötigt habe. Die Akte bekommen Fredericks Eltern nur unvollständig. Angaben zu der zweiten Schuljahreshälfte 2008/2009 sind fast nicht vorhanden. Dafür befindet sich dort das „Ermittlungsverfahren gegen Frederick Moll“ sowie ein Vermerk vom 21. April 2009, unterschrieben von Frau H., einer ehemaligen Lehrerin von Frederick. Angaben zum Schuljahr 2009/2010 (neunte Klasse) fehlen gänzlich.

Anhand dieser Dokumente ist ersichtlich, dass die Frederick vorgeworfene Drohung bereits am frühen Morgen des 3. April 2009, dem Datum der Erstattung der Strafanzeige, von der Schule als Missverständnis einstuft wird, worüber Frederick selbst jedoch nie informiert wird. Im Gegenteil wird er stattdessen über seine „gefährliche Wirkung auf seine Mitschüler“ informiert. Die Schuldzuweisung ihm gegenüber wird nicht nur nie zurückgenommen, sondern es werden Ordnungsmaßnahmen gegen ihn beschlossen, ferner auch der Ausschluss von einer Klassenfahrt im Frühjahr 2010.

*
In der Tat besteht noch eine Reihe ungeklärter Fragen bezüglich des Handelns der Schule am 2./3. April 2009, bezüglich des Umgangs mit Frederick bei der Klärung des Amokverdachts und im weiteren Verlauf seines Schulbesuches am Gymnasium sowie bezüglich einiger Angaben von Frau H. im Vermerk in der Schülerakte über ein Gespräch am 21. April 2009, die mit dem tatsächlichen Verlauf und Inhalt des Gesprächs nicht übereinstimmen. Dies betrifft ebenso die Aussagen des Sprechers der Bezirksregierung gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 14./15. September 2013 bezüglich Fredericks angeblicher Drohung.

Zu der Vorgehensweise bei der Klärung dieses Amokverdachts am 2./3. April 2009 äußerte sich die Bezirksregierung gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger am 14./15. September 2013. „Die Bezirksregierung teilt als Aufsichtsbehörde mit“, schreibt der Journalist B. Schneider, „alles sei jedoch abgelaufen wie in vergleichbaren Fällen auch.“

Die Gefahr einer erneuten Verdachtswelle, wie im Jahr 2009 nach Winnenden, bleibt weiterhin bestehen. Kurz nach der Tat von Winnenden gab es wohl alleine im Raum Köln fast 90 ähnlich wie bei Frederick gelagerte Fälle, bei denen das Gefahrenpotenzial von Schülern überprüft wurde. Einen Verdacht genau zu überprüfen, insbesondere einen Amokverdacht, ist in Bezug auf die Sicherheit der Schüler und anderer Menschen selbstverständlich dringend erforderlich. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass dabei nicht jeder Verdacht oder Konflikt eindeutig geklärt und für den Verdächtigten klar abgeschlossen wird. Wie in Fredericks Fall. Über die psychischen, sozialen und manchmal langjährigen Auswirkungen auf das verdächtigte oder beschuldigte Kind wird öffentlich sehr selten gesprochen beziehungsweise berichtet. Der Suizid eines Kölner Schülers im November 2007 im Anschluss an eine polizeiliche Gefährderansprache in seiner Schule ist einer der wenigen Fälle, die an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Um die im Rahmen der Präventivmaßnahmen vorgeschriebene Vorgehensweise bei der Klärung eines Amokverdachts zu hinterfragen sowie auf deren Folgen hinzuweisen, hat Fredericks Mutter Joanna Moll den „Schulbericht über das Handeln und seine Wirkung“ erstellt, der das Vorgehen bei Frederick im Jahr 2009 aufzeigt. Der „Schulbericht“ stützt sich sowohl auf die den Eltern vorliegenden Dokumente als auch auf Fredericks Aussagen.

Im Juni 2016 versenden Fredericks Eltern den „Schulbericht über das Handeln und seine Wirkung“ an Schulen sowie an diejenigen Institutionen, die im Fall eines Konflikts in der Schule oder des Verdachts auf einen Amoklauf einbezogen sein müssen.

Es ist ihr Anliegen, die bisherigen Verfahrensschritte der Präventivmaßnahmen neu zu überdenken sowie zur Klärung von Verdachtsfällen bei Kindern und Jugendlichen insgesamt beizutragen. Sie erhoffen sich, wie bereits im Vorwort erwähnt, Schulen und Institutionen auf die möglichen sozialen und psychischen Folgen eines Verdachts, insbesondere eines ungeklärten Konflikts für das betroffene Kind, aufmerksam zu machen. Hierbei soll zu einem verständnisvollen und sensiblen Umgang mit dem verdächtigten Kind beigetragen werden. Das Bedürfnis nach einer objektiven Lösung eines Konflikts beziehungsweise Verdachts steht hier selbstverständlich außer Frage. Dabei ist es auch der Wunsch der Eltern, die komplexe Problematik der Gewalt an Schulen aus der Perspektive der Sozialisationspädagogik zu betrachten.

Zur selben Problematik wie ein Amokverdacht gehören auch alltägliche Konflikte und Verdachtsfälle in Schulen, die ebenso nach eindeutiger Klärung verlangen. Nach der Kenntnisnahme des „Schulberichts“ schreibt der Leiter eines Jugendamtes in Köln: „Die Fachkräfte des Jugendamtes haben in der Tat tagtäglich mit Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung zu tun. Insofern besteht ein hohes Maß an institutionellem Interesse, Verfahrensschritte zur Klärung von Sachverhalten zu beschreiten, die nicht nur die potenziellen Opfer schützt, sondern auch die schutzwürdigen Interessen der im Verdacht stehenden Dritten berücksichtigt.“

Am 16. August 2016 erhält Joanna Moll daraufhin vom Anwalt Herrn F. im Namen von Frau Birgit H. eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung. Es ist die erste und bisher einzige Kontaktaufnahme eines ehemaligen Lehrers von Frederick mit seinen Eltern nach dessen Tod. Joanna Moll soll sich „verpflichten“, drei Sätze, die sich im „Schulbericht“ finden, „bei Meidung einer Vertragsstrafe, ab sofort zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten und verbreiten zu lassen“. Diese drei Sätze beziehen sich auf telefonisch beziehungsweise mündlich getätigte Aussagen von Frau H. gegenüber Joanna Moll und/oder Fredericks Vater. Da sie aber den Tatsachen vollkommen entsprechen, kann Joanna Moll die Forderung nicht unterschreiben. Sie ist jedoch gewillt, die Sätze zugunsten von Frau H. leicht zu verändern, da sie einem der Argumente von Anwalt F. folgen kann und seine Meinung teilt. Er schreibt: „Es wundert ein wenig, dass unsere Mandantin im Zusammenhang mit den Vorgängen rund um Ihren Sohn stets Rückendeckung durch die Schulleitung sowie die aufsichtsführende Bezirksregierung Köln erhalten hat.“ In dem auf dieser Internetseite veröffentlichten „Schulbericht“ wurden die alten Sätze durch die neuen, Frau H. von Joanna Moll vorgeschlagenen, leicht veränderten Sätzen ersetzt.

Am 18. Juli 2017 erhält Joanna Moll von Anwalt Herrn F. eine Antwort auf ihr Schreiben vom 24. August 2016. Auf ihren Vorschlag, die Sätze leicht zu ändern, hat Frau H. leider nicht geantwortet. Stattdessen teilt man Joanna Moll mit, dass sich Frau H. „aus Respekt vor“ der „Trauer“ der Mutter „gegen entsprechende rechtliche Schritte […] entschieden hat“, jedoch „nur solange“ von Joanna Moll „keine weiteren Rechtsverstöße gegenüber“ Frau H. „festzustellen sind“. Des Weiteren wird Joanna Moll darauf hingewiesen, dass Frau H. „jederzeit bereit ist, den […] Schutz anwaltlich und gerichtlich in Anspruch zu nehmen“. „[…] jedoch haben wir die Hoffnung“, schreibt Anwalt Herr F., „dass es hierzu abschließend nicht kommen muss.“

Am 3. April 2017 übersenden Fredericks Eltern der Bezirksregierung ihre Bitte um eine Erklärung bezüglich des Handelns der Schule am 2./3. April 2009 und des Umgangs mit ihrem Sohn Frederick sowie bezüglich einiger Aussagen des Sprechers der Bezirksregierung gegenüber der Presse im Jahr 2013, die im Widerspruch zu den Dokumenten stehen.

Am 19. Mai 2017 bekommen sie eine Antwort, in der sie darüber informiert werden, dass „[die Schule] im April 2009 rechtlich korrekt gehandelt“ habe. In Bezug auf ihre Fragen mit der Bitte um eine Erklärung schreibt Herr B. als Vertreter der Bezirksregierung: „Weitere Informationen über das Verhalten der Schule und die Aufarbeitung der Situation kann ich Ihnen nicht geben. Ich möchte Ihnen trotzdem eine Gelegenheit zu einem abschließenden Gespräch in meiner Behörde geben.“

Am 28. Mai 2017 versenden Fredericks Eltern ihre Antwort darauf mit einigen Fragen, unter anderem: ob „für die Bezirksregierung bei einem so schweren Verdacht für ein Kind nur die rechtlichen Aspekte zählen“ und „ob die Bezirksregierung keine weiteren Informationen geben will oder keine weiteren hat? Diesbezüglich stellt sich für uns die Frage, worüber unser Gespräch mit Ihnen, Herrn Dr. P. und Herrn P. geführt werden soll, kann und/oder darf?“
Am 12. Juni 2017 schreibt Herr B.: „Es liegt kein Verschulden von Lehrkräften des Landes Nordrhein-Westfalen vor. In Ihrer persönlichen Bewertung steht es Ihnen frei, die Ereignisse anders zu bewerten.“

Die Bitten der Eltern an den Staatsanwalt Dr. K., übermittelt über ihren Anwalt, ihnen Einsicht in die weiteren Akten zu dem Vorfall von 2009 zu gewähren, werden abgelehnt, ebenso ihre Bitte um Einsicht in die weiteren polizeilichen Akten. Einen Bericht über die Klärung des Amokverdachts gegenüber ihrem Sohn hätten sie jedoch im Hinblick auf die Offenlegung von Präventivmaßnahmen und die Aufklärung von Verdachtsfällen, unabhängig von der Entwicklung der Situation, auf jeden Fall erstellt.

***
Köln, August 2017